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KURZGESCHICHTE

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Kurzgeschichten sind nichts für mich. Denn kurzweilig habe ich kurze Geschichten satt. Kurz vergeht immer so flott. Obwohl ich eine flotte Biene bin, halte ich nichts von Flottheit. Geflottet ist es nur halb so schön. Schön ist es, wenn es lange Geschichten sind. Können Kurzgeschichten auch zu Langgeschichten werden? Langgeschichtete Kurzgeschichten braucht die Menschheit. Aus einem kurzen Augenblick eine lange Romanze entstehend, langatmig und mindestens so anhaltend wie der Atemzug eines Wals. In Wales haben sie sich getroffen. Sie ging am Strand entlang als ein gestrandeter Wal ersauerstoffte. Sauerstoff ist auch tödlich, auf falscher Haut ein heißer Brand. Heiß entbrannte ihr Herz, als sie ihn sah, wie er zum sich quälenden Tier rannte. Stehen blieb sie, bei ihr rannte nur das Herz, als würde sie die Treppen in dem Hochhaus ihrer Arbeit hochhetzen. Wenn sie zu spät kam. Kommen wollte sie. Wieder und wieder. Sie kam schon so oft zu spät. Viel zu oft. Das Zuspätkommen prägte ihr Leben in jeder Hinsicht. Und sie kam nicht zu spät, weil sie es wollte, das Zuspätkommen hatte sie ausgesucht und sie nach Wales gebracht, zu dem Wal und dem Mann, der den Wal retten wollte. Und auch der Mann kam dauernd zu spät. Oft kam er zu früh und dann fiel ihm ein, wie er hätte später kommen können, doch da war es auch schon zu spät. Und seine Frauen, die gingen immer viel zu früh. Er brauchte eine Frau, die auch zu spät kam. So trafen sich die Beiden am Strand von Wales neben dem sterbenden Wal, genau zur richtigen Zeit, so dachten sie und so sagten es ihre viel zu langen Blicke. Doch der Wal, der dachte anders. Er dachte es ist zu spät und explodierte. Das Ende einer Kurzgeschichte, denn für Langgeschichten war es zu spät.

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Ani Simeonova

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